Sächsische Zeitung | 19.05.2015 | von Alexander Hiller

Der entschleunigte Weg nach Japan

Die Dresdner Jasmin Rodig und Tino Lehmann dürfen im Kendo-Mekka bei der WM antreten. 

 

Zugegeben, das Japanisch von Jasmin Rodig und Tino Lehmann ist wahrscheinlich auch nicht viel besser als das der meisten Mitteleuropäer. Dennoch verbindet die beiden Dresdner viel mehr mit der asiatischen Kultur, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag.

 

Die Leidenschaft für Kendo – eine Weiterentwicklung des traditionellen Schwertkampfes der Samurai – verbindet Jasmin Rodig und Tino Lehmann mit knapp sieben Millionen aktiven Japanern. Im Land des Lächelns wären die 24-jährige Soziologie-Studentin und der Informatiker zwei unter Vielen. Hier sind sie Exoten. Knapp 5 000 aktive Mitglieder hat der Deutsche Kendo-Bund (DKENB). Und Rodig und Lehmann gehören in der Randsportart hierzulande zu den deutschen Elitekämpfern. Als solche erleben sie in den nächsten Tagen so etwas wie den Kendo-Traum schlechthin. Eine Weltmeisterschaft im Ursprungsland Japan (29. bis 31. Mai). Mehr geht in dieser Zweikampfsportart nicht. „Für uns ist das in etwa so wie Wimbledon für die Tennis-Asse. Das ist wie Nach-Hause-Kommen“, sagt Tino Lehmann voller Vorfreude.

 

In die Wettkampfhalle – den sogenannten Budokan – für die Olympischen Spiele 1964 in Tokio als Judo-Arena gebaut – passen 14 000 Zuschauer. Und diese Anzahl werden die Organisatoren aus Tokio wohl auch annähernd ausschöpfen. Für die 14 deutschen Nationalmannschaftsathleten – sieben Frauen, sieben Männer – eine völlig neue Dimension. 52 Nationen haben für das WM-Turnier gemeldet. „Für jeden, der unsere Sportart betreibt, ist es ein Traum, in dieser Halle einen Wettkampf zu bestreiten“, sagt Jasmin Rodig. „Die Aufregung wird in diesem Jahr etwas Besonderes sein“, meint die Soziologie-Studentin. Und das, obwohl sie bereits eine EM hinter sich hat. Im Vorjahr erkämpfte die gebürtige Stolpenerin mit der Mannschaft Bronze. Dennoch werden sich die beiden Athleten des Budoclubs Dresden auch irgendwie wie staunende Anfänger fühlen. „Das hat noch niemand von uns erlebt, die Aufmerksamkeit wird dort riesig sein“, sagt Jasmin Rodig in einem Tonfall, dass man kaum erahnen kann, ob sie sich das erhofft oder es vielmehr befürchtet.

 

In purem Erstaunen werden die beiden Sachsen aber nicht erstarren, versichern sie unisono. Wenngleich die deutsche Nationalmannschaft bereits morgen nach Japan reist. Doch das ist keineswegs als Spaßausflug gedacht. Sondern als Annäherung an die noch fremden Gewohnheiten und Sitten. „Wir werden sicher in der ersten Woche von Land und Leuten nicht viel mitbekommen, sondern eher viel trainieren“, blickt Tino Lehmann voraus. Aber auch der Körper muss sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Das Essen zum Beispiel. „Es wird viel Reis geben – von morgens bis abends“, meint Jasmin Rodig lachend. „Die Ernährung wird komplett anders als bei uns sein“, sagt sie. Sushi mögen allerdings beide Dresdner. „Aber nicht jeder KendoSportler“, betont Jasmin Rodig. Allerdings färbt die intensive Beschäftigung mit der asiatischen Kampfkunst auch auf die Lebensweise der Sachsen ab. In puncto Demut, Entschleunigung, Freundlichkeit, Dankbarkeit auch für vermeintliche Alltäglichkeiten. „Wenn man den Sport lange betreibt, nimmt man auch gewisse Verhaltensweisen für sich an, die diese Sportart auch auszeichnen“, bestätigt Tino Lehmann.

 

Für die Dresdner wird die Reise ins Mekka des Kendo mithin eine ganze Menge mehr als lediglich ein sportliches Abenteuer. Auch wenn die Medaillenaussichten gering anmuten. „Die Chancen für den Einzug in ein Finale sind gewiss klein, aber eine gute Platzierung kann man erreichen“, sagt Tino Lehmann. Der in Hainichen bei Possendorf geborene IT-Fachmann opfert für den Jahreshöhepunkt seinen Jahresurlaub. Zumindest für den sportlichen Teil kommt trotz klammer Kassen der Deutsche Kendo-Bund auf. Nach der WM hängen Lehmann und Jasmin Rodig – zugleich seine Lebensgefährtin – noch zwei Wochen Privaturlaub in Japan dran. Dabei wird das Paar an einem Tag sicher mehr Kendoanhängern begegnen als hier in einem Jahr. Denn Illusionen haben beide nicht, was das Wachstum von Kendo in Dresden betrifft. „An der TU bieten wir in jedem Semester einen Anfängerkurs an. Wir fangen mit knapp 40 Leuten an und sind am Ende froh, wenn ein bis zwei bei uns hängenbleiben“, sagt Tino Lehmann. Vor allem die ersten Schritte im Kendosport seien ziemlich schwierig, weil Fortschritte nur mühsam zu erreichen sind. Der Deutsche an sich mag es ja eher zügig. Da sind Tino Lehmann und Jasmin Rodig die Ausnahme. Vielleicht ja auch demnächst wegen ihrer gewachsenen Japanisch-Kenntnisse. 

Jasmin Rodig und Tino Lehmann kämpfen zunächst mit ihren Bambusschwertern in Tokio um die Weltmeisterschaft im Kendo. Dann hängt das Liebespaar noch knapp zwei Wochen Privaturlaub in Japan dran. Foto: Sven Ellger 

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